Stand der Dinge im November 2021

Wir sind kein Opfer!

Im November mit Sabine S.

CW: Sexualisierte Gewalt

„Jeder Tag ist ein neuer Anfang.“ – Dieses Mantra wurde zu meiner Überlebensstrategie.

Hallo, ich bin Sabine S., 33 Jahre alt und habe in meinem Leben mehrfach sexualisierte Gewalt erlebt. Lange Zeit war mir nicht klar, dass übergriffiges und grenzüberschreitendes Verhalten von Männern, welches ich erlebt habe, wirklich nicht okay ist. Mein Körper spürte zwar, dass mir das unangenehm war, jedoch misstraute ich meinem eigenen Gefühl lange Zeit, da ich glaubte, „das ist halt so“.

Der Po-Grabscher beim Tanzen im Club („Der ist so, wenn er getrunken hat. Das darfst du nicht so ernst nehmen!“), anzügliche Bemerkungen, der Trainer, der mir immer etwas zu nah kam, der Partner, der mich zum Sex drängte, der Vermieter, der viel zu weit ging…

Solche Erlebnisse bekamen für mich erst durch die Aufarbeitung meiner ersten Vergewaltigung von vor drei Jahren einen Namen: sexualisierte Gewalt. All diese Erfahrungen machen deutlich: Umso mehr wir als Gesellschaft solche Übergriffe tolerieren, umso schneller dreht sich die Gewaltspirale. Zu oft hören wir die Frage: „Warum hast du nicht einfach ‚Nein‘ gesagt?“

Im vergangenen Jahr kam es durch einen anderen Mann zu einer weiteren Tat. Bei der ersten Vergewaltigung war ich körperlich und geistig nicht mehr da, hatte vermutlich K.-o.-Tropfen oder ähnliche Substanzen verabreicht bekommen. Ich erstattete Anzeige. Das Verfahren wurde nach einem Jahr eingestellt. Auch mein Antrag auf OEG wurde daraufhin eingestellt. Die zweite Tat habe ich nicht zur Anzeige gebracht.

Als ich einen Teil meiner Geschichte bei MeTooGermany veröffentlichte und kurz darauf begann, auf meinem Instagram-Account Wolkenvergehen meine Geschichte aufzuarbeiten, eröffnete sich mir ein ungeahnter Raum, in welchem ich Verständnis, Mitgefühl und Solidarität erfuhr. So viele wundervolle Menschen durfte ich kennenlernen, die sich teilweise laut engagieren oder im Stillen mit dieser Thematik auseinandersetzen. Inzwischen durfte ich auch mit Journalistinnen über meine Erlebnisse sprechen. Es gibt noch viel zu tun, vor allem auf juristischer Ebene, aber auch präventiv und im Bereich bedarfsgerechter Versorgung.

„Dialog statt Schweigen. Aktion statt Ohnmacht. Gemeinsam statt einsam.“ steht es so treffend auf der Startseite von KO – Kein Opfer e.V. Das ist es, was mich antreibt. Wir sind viele. Wir sind nicht allein. Jeder Tag ist ein neuer Anfang.

Danke, Nina, dass du diesen wichtigen Verein gegründet hast! Du leistest großartige Arbeit und ich bin sehr stolz und dankbar, ein Mitglied zu sein.