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Sexualisierte Gewalt

Sexualisierte Gewalt

Zahlen & Fakten

In Europa wird jede dritte Frau im Erwachsenenalter Opfer von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt. Dies zeigt eine EU-Studie, die 2014 mit 42.000 Frauen durchgeführt wurde. Das bedeutet, dass jede*r von uns rein statistisch gesehen mehrere Personen im eigenen Umfeld hat, die Opfer von häuslicher und/oder sexualisierter Gewalt wurden oder dieser immer noch ausgesetzt sind!

Das Ergebnis der Studie zeigt, dass Deutschland im Mittelfeld liegt: 35 Prozent haben hier seit ihrem 15. Lebensjahr mindestens einmal sexualisierte oder körperliche Gewalt erlebt, sind also geschlagen, getreten, geohrfeigt, begrapscht, genötigt oder zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden. Eine von zwanzig Frauen wird demnach vergewaltigt, eine von zehn erlebt andere Formen von sexualisierter Gewalt. Eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) aus dem Jahr 2004  kommt zu noch drastischeren Zahlen: Fast jede siebte Frau in Deutschland wird demnach vergewaltigt oder sexuell genötigt. (Quelle)

Dennoch sprechen die wenigsten darüber oder erstatten gar Anzeige. Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat in seiner neuen Publikation Daten und Erhebungen der Jahre 2014 bis 2016 ausgewertet. „Von Hundert Frauen, die vergewaltigt werden, erlebt nur etwa eine einzige eine Verurteilung“, hat er herausgefunden. „Das liegt daran, dass 85 Prozent der Frauen keine Anzeige machen, und dann gibt es folglich auch keine Verurteilungen. Und von den 15 Prozent die übrig bleiben, werden letztendlich nur 7,5 Prozent der Täter verurteilt. Das ist indiskutabel.“ (Quelle) Dieses hohe Dunkelfeld (Taten, die polizeilich nicht bekannt sind) ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das Thema nach wie vor tabuisiert wird und extrem schambehaftet ist.

Dies wird auch aus einer recht aktuellen Studie aus Großbritannien ersichtlich, die wir aus Mangel einer aktuellen Studie aus Deutschland hier anführen. Der kulturelle Kontext und die Lebensumstände dort sind gut mit Deutschland vergleichbar, so dass wir davon ausgehen, dass auch hier ein ähnliches Ergebnis denkbar wäre. Die Studie „I thought it was just a part of life: Understanding the scale of violence committed against women in the UK since birth“ (deutsch: „Ich dachte, es wäre einfach ein Teil des Lebens: Das Ausmaß der Gewalt gegen Frauen im Vereinigten Königreich seit ihrer Geburt verstehen“) von Jessica Taylor und Jaimi Shrive, veröffentlicht im April 2021, offenbart auf der Basis von Antworten von 22.419 Frauen, dass 99,7 Prozent der Teilnehmerinnen seit ihrer Geburt wiederholt unterschiedlichen Formen von Gewalt, einschließlich Übergriffen, Belästigung und Vergewaltigung, ausgesetzt waren, wobei die Täter überwiegend männlich waren. Die Studie zeigt eine alarmierend geringe Quote bei der Anzeigenerstattung; ein signifikanter Anteil der Frauen erstattete keine Anzeige bei der Polizei bezüglich der erlebten Gewalttaten, was die tiefe Kluft zwischen dem Ausmaß der Gewalterfahrungen und den offiziellen Anzeigen hervorhebt. Diese Ergebnisse betonen die dringende Notwendigkeit, das Bewusstsein zu schärfen und die Unterstützungsangebote für Betroffene zu verbessern.

Auswirkungen von sexualisierter Gewalt auf Betroffene

In der oben genannten EU-Studie gaben 77 Prozent der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen an, dass ihnen der Täter bekannt gewesen ist oder es sich dabei sogar um den eigenen Partner handelt. Es ist also in den meisten Fällen nicht so, wie der Mythos uns gerne glauben lässt, dass die Joggerin im Park von einem unbekannten, maskierten und bewaffneten Mann ins Gebüsch gezerrt und vergewaltigt wird. Die Tatsache, dass Täter*innen meist aus dem eigenen Umfeld stammen, macht es für Betroffene natürlich noch schwerer, darüber zu sprechen oder zur Polizei zu gehen. Hinzu kommt noch, dass in unserer Gesellschaft Opfern von sexualisierter Gewalt nach wie vor häufig Unverständnis und Misstrauen entgegengebracht wird: Die Tat wird bagatellisiert und die Ablehnung des Gedankens „Das hätte auch mir passieren können!“ sorgt dafür, dass negative Gefühle auf das Opfer projiziert werden und Täter*innen in Schutz genommen werden. Häufig wird Betroffenen nicht geglaubt (dazu mehr unter „Falschbeschuldigungen“ weiter unten) und sie werden teilweise sogar beleidigt und beschimpft. Die Verantwortung für die Tat wird nicht nur vom persönlichen Umfeld, sondern leider häufig auch von Seiten der Polizei und Justiz oft zuerst beim Opfer gesucht. 

Dabei spricht man von „Victim-Blaming“ (dt. Täter-Opfer-Umkehr oder Beschuldigung des Opfers). Die Schuld für einen Übergriff beim Opfer selbst zu suchen, kann aufgrund der erneuten Viktimisierung zu einer Retraumatisierung bei den Betroffenen führen und es kann möglicherweise zu stärkeren Traumafolgestörungen kommen.

Menschen, die sich in einer Notsituation befinden, handeln nach drei Reaktionsmustern: Kampf, Flucht oder Starre. Die Entscheidung, für welchen Überlebensmodus sich ein Mensch in der Situation eines Angriffs entscheidet, geschieht unbewusst in einem Bruchteil von Sekunden. Betroffene stehen nach einer Tat auch häufig unter Schock. Sich einzugestehen, dass man vergewaltigt wurde und zu einem Opfer von sexualisierter Gewalt wurde – wem fällt dieser Gedanke leicht? Opfer von sexualisierter Gewalt werden häufig von Schuldgefühlen und/oder Gefühlen von Scham geplagt. Die Wahrscheinlichkeit in Folge einer einmaligen Vergewaltigung an einer PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) zu erkranken, ist mit 50 Prozent leider relativ hoch. Dies kann die Lebensqualität der Betroffenen massiv beeinträchtigen und Symptome wie beispielsweise Depressionen, Panikattacken oder sozialen Rückzug zur Folge haben. 

Was wir tun

Um der Tabuisierung von sexualisierter Gewalt endlich ein Ende zu bereiten, ist es sehr wichtig, Aufklärungsarbeit und Präventionsarbeit zu leisten. Unter „Was wir tun“ erfährst du, auf welche Weise wir auf die Problematik aufmerksam machen und wie wir uns aktiv dafür einsetzen, die Situation für Opfer von sexualisierter Gewalt zu verbessern und eine Bewusstseinsänderung in unserer Gesellschaft zu erwirken.

Vergewaltigungsmythen: Thema Falschbeschuldigungen

Als Nina Fuchs damals die Vergewaltigung angezeigt habe, hat ihr die Polizei nicht geglaubt. Diese Erfahrung hat sie dazu bewogen, sich näher mit dem Thema Falschbeschuldigungen auseinanderzusetzen. Bei diesem Narrativ, warum Frauen Männer angeblich so häufig zu Unrecht beschuldigen, steht das Rachemotiv meist an erster Stelle. Dabei wird völlig außer Acht gelassen, dass eine Zeugenaussage bei der Polizei, bei der auch unangenehmste intime Fragen beantwortet werden müssen, und eine Untersuchung bei der Rechtsmedizin, bei der jeder Millimeter des Körpers und jede Körperöffnung penibelst genau untersucht werden, für die betroffene Person eine extrem belastende und teilweise sogar traumatisierende Situation darstellt, der man sich wirklich nur im äußersten Notfall aussetzt. Ein weiterer Mythos ist, man wolle ein vermeintliches Fremdgehen vertuschen. Und zu guter Letzt wird gerne noch von psychischen Erkrankungen gesprochen und davon, dass sich die Frau zwanghaft in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit spielen will. Wobei man vielleicht bedenken sollte, dass es tatsächlich wenig glamourös ist, als Vergewaltigungsopfer „berühmt“ zu werden.

Das Tragische ist, dass einem ja auch dann nicht geglaubt wird, wenn all diese Mythen ausgeschlossen werden können. Obwohl es im Fall von Nina Fuchs rein logisch betrachtet naheliegender war, dass sie die Wahrheit sagt, da es weder einen Grund noch eine Motivation gab, die auf eine Lüge hindeuteten, entschied sich der vernehmende Polizist dennoch dazu, von einer Lüge auszugehen. Woran genau liegt das? Dieser Frage ist Nina Fuchs auf den Grund gegangen. In den Medien wird immer wieder von renommierten Experten aus diesem Bereich von gewissen Zahlen und Statistiken gesprochen. Beispielsweise Professor Christian Pfeiffer, Kriminologe und ehemaliger Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen sowie ehemaliger niedersächsischer Justizminister der SPD, spricht im November 2019 bei der Tagesschau von rund 20 Prozent Falschbeschuldigungen: „Nach unserem Kenntnisstand sagt die große Mehrheit der Frauen, rund 80 Prozent, die Wahrheit und denen müssen wir gerecht werden.“ (Quelle) Die Forschung von  Herrn Pfeiffer im Bereich Sexualstraftaten ist enorm relevant, da es keine vergleichbar aktuellen Zahlen in diesem Bereich gibt. Auf Nachfrage, auf welcher Grundlage diese 20 Prozent basieren, nannte Herr Pfeiffer eine Studie der kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei1 als Quelle.

Auch Rechtsanwalt Alexander Stevens, der laut seiner Website neben seiner anwaltlichen Tätigkeit gefragter Referent (u. a. für die Deutsche Richterakademie) und Rechtsexperte (u. a. für Medien und TV) ist, spricht in seiner Funktion als Moderator der RTL2-Sendung „Im Namen des Volkes2  davon, dass es sehr unterschiedliche Studien gibt, die besagen, dass die Zahl der Falschbeschuldigungen bei Sexualdelikten zwischen 20 und 50 Prozent liegen sollen. Auf die Nachfrage hin, auf welche Studien er sich da beziehe, nannte auch er dieselbe Quelle wie Christian Pfeiffer.

Es handelt es sich dabei um die folgende Studie aus dem Jahr 2005: „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern – Opferrisiko, Opfer- und Tatverdächtigenverhalten, polizeiliche Ermittlungen, justizielle Erledigung“, die von dem Bayerischen Staatsministerium des Innern in Auftrag gegeben wurde und, wie bereits erwähnt, von der kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei ausgeführt wurde. Hauptautor*innen der Studie sind Wiebke Steffen und Erich Elsner. In Kapitel 5 der Studie geht es um eine Sachbearbeiterbefragung3 , deren Ergebnisse letztendlich für genau die Prozentzahlen verantwortlich sind, die von Christian Pfeiffer und Alexander Stevens genannt werden. Im April 2004 wurden im Rahmen der Studie insgesamt 77 Sachbearbeiter*innen befragt und in Kapitel 5.4 „Schätzungen der Sachbearbeiter zum prozentualen Anteil des Vortäuschens einer Straftattat und der falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen gemäß § 177 StGB“ wurden die Ergebnisse dieser Befragung dargestellt. Sieben Personen machten keine Angabe und das Resultat der verbleibenden 70 Personen ergab deutliche Unterschiede in den Schätzungen: Sie lagen zwischen drei und 80 Prozent.4 Hier als Beispiel für diese massiven Unterschiede zwei Aussagen von Sachbearbeiter*innen: „Während meiner langen Tätigkeit beim ursprünglichen Kommissariat der Sitte (jetzt nunmehr K 1) gab es aus meiner Sicht sehr, sehr wenige echte Fälle. Die Regel waren Vortäuschen einer Straftat bzw. Falsche Verdächtigungen.“ und „Vorgetäuschte Delikte sind eher selten. Durch ausführliche Befragung kann der Sachverhalt geklärt werden.5

Es ist eigentlich schon fast mutig, hier von einer Studie zu sprechen, denn eine valide Studie zeichnet sich dadurch aus, dass die Ergebnisse signifikant oder relevant sind und dass die Stichprobe repräsentativ und nicht zu klein ist. Deshalb ist es wichtig, noch einmal zu betonen, dass wir hier von der persönlichen Einschätzung von 70 Einzelpersonen sprechen. Das bedeutet, dass es sich hierbei lediglich um eine Meinungsbefragung und mitnichten um Fakten handelt. Auch der Schwankungsbereich dieser Studie verdeutlicht noch einmal, dass die Ergebnisse der Befragung keinerlei relevante oder verlässliche Rückschlüsse zulassen. Dies wirft die Frage auf, wie solche Ergebnisse allen Ernstes als repräsentative Zahlen verwendet und in der Öffentlichkeit verbreiten werden können. Auch die Autor*innen der Studie teilen diese Meinung in Bezug auf die Aussagekraft und Relevanz der Ergebnisse:

So sehen sich etwa in Bayern insbesondere die Beauftragten der Polizei für Frauen und Kinder immer wieder mit Aussagen der (kriminal)polizeilichen Sachbearbeiter/innen konfrontiert, die von sehr hohen Anteilen an Vortäuschungen und falschen Verdächtigungen ausgehen. Ob diese Wahrnehmung der Beamten der Realität entspricht oder nicht, kann nicht beurteilt werden, da es an Untersuchungen und empirisch gesichertem Wissen fehlt. (Das ist nichts Neues: Nur ganz ausnahmsweise konnten die Zweifel von Polizei und Justiz an der Glaubwürdigkeit der Opfer, die sich wie ein roter Faden durch den Umgang der Strafverfolgungsinstanzen mit diesen Opfern – und der Kritik an ihm – ziehen, durch empirische Befunde bestätigt oder widerlegt werden).6

Anhand dieses Zitats wird ersichtlich, dass die Zahlen, auf die sich Alexander Stevens oder Christian Pfeiffer berufen, absolut jeglicher Grundlage entbehren und somit komplett wertlos sind.

Das Paradoxe an der ganzen Situation ist, dass es für einen Mann tatsächlich deutlich wahrscheinlicher ist, selbst Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden, als fälschlicherweise der Vergewaltigung bezichtigt zu werden. 2014 erschien in der US-amerikanische Onlinezeitung Huffpost7 ein Artikel zu genau diesem Thema. Darin wird beschrieben, dass Studienergebnissen aus dem Jahr 2010 zufolge 47 Prozent der bisexuellen Männer, 40 Prozent der homosexuellen Männer und 21 Prozent der heterosexuellen Männer in den USA im Laufe ihres Lebens bereits eine Form von sexualisierter Gewalt erfahren haben. (Quelle) Weitere Forschungsergebnisse zeigen, dass mindestens einer von sechs Jungen vor ihrem 18. Lebensjahr sexuellen Missbrauch erlebten. Verschiedenste Studien aus den USA und Großbritannien zum Thema Falschbeschuldigungen hingegen haben ergeben, dass der Anteil der Falschbeschuldigungen lediglich bei zwei bis acht Prozent liegt. Diese Zahlen zeigen sehr deutlich, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Mann zu Unrecht beschuldigt wird. Dass Falschbeschuldigungen marginal sind, bekräftigt auch der bff (Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland) und beruft sich dabei auf eine Studie von Seith, Kelly und Lovett: „Entgegen der weit verbreiteten Stereotype, wonach die Quote der Falschanschuldigungen bei Vergewaltigung beträchtlich ist, liegt der Anteil bei nur 3 %.“ (Quelle). Leider ist diese Studie nicht repräsentativ, da dafür lediglich hundert Fälle der Staatsanwaltschaft Stuttgart untersucht wurden und das nicht ausreicht, um ein aussagekräftiges Bild zur gesamtdeutschen Situation zu zeichnen. Ob dieses Ergebnis dennoch deutlich repräsentativer ist als die persönliche Meinung von 70 Polizeibeamt*innen, darüber lässt sich streiten.

Niklas Ottersbach von MDR AKTUELL zitiert in seinem Artikel die Feministin Teresa Bücker, Chefredakteurin von Edition F, die sich über die Falschbeschuldigungs-Debatte und darüber, dass Fälle von sexualisierter Gewalt viel zu selten vor Gericht landen, ärgert: „Wohingegen man sagen muss, dass von den Vergewaltigungen, die jährlich allein in Deutschland geschehen, etwa 80 bis 90 Prozent überhaupt nicht zur Anzeige gebracht werden. Und würden die alle zur Anzeige gebracht werden, dann hätten wir mehrere 10.000 im Jahr.“ (Quelle) Bezieht man dieses hohe Dunkelfeld, das auch die Polizeiforscher vom bayerischen LKA bestätigen, mit ein, würden die Falschbeschuldigungen bei den höheren Fallzahlen in den Bereich unter einem Prozent zusammenschrumpfen.

Das Fatale an der ganzen Geschichte ist, dass der Mythos von den angeblich so zahlreichen Falschbeschuldigungen, und zwar besonders dann, wenn er von Expert*innen bestätigt und weiterverbreitet wird, den Nährboden dafür bereitet, dass Opfern, wie Nina Fuchs und so vielen anderen, nicht geglaubt wird – und zwar nicht nur von Polizei und Justiz, sondern auch von der Gesellschaft, vom eigenen sozialen Umfeld oder sogar von der eigenen Familie. Die absolut berechtigte Angst davor, dass man sich der Tortur einer Anzeige unterzieht und dann als Lügnerin dargestellt wird – also genau das, was Nina Fuchs erlebt hat – sorgt dafür, dass das Dunkelfeld, anstatt zu schrumpfen, weiter wächst. Es wäre sehr wünschenswert, wenn Expert*innen in Zukunft ihre Reichweite nutzen, um Opfer, die bereits aufgrund der sexualisierten Gewalt, die ihnen angetan wurde, geschädigt und traumatisiert sind, vor Retraumatisierungen zu bewahren, und die Reproduktion von Vergewaltigungsmythen unterbinden.

Außerdem benötigen wir unbedingt aktuelle repräsentative Studien zu der Thematik. Die Tatsache, dass es komplett an verlässlichen Zahlen und Fakten mangelt, zeigt nur allzu deutlich, dass das Thema nach wie vor tabuisiert und zu wenig ernst genommen wird, und das, obwohl laut Kapitel I, Artikel 11 (Datensammlung und Forschung) des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (sog. Istanbul-Konvention, die im Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist) eine gesetzliche Verpflichtung zur Datenerhebung besteht. In der Erläuterung der Istanbul-Konvention steht dazu Folgendes: „Präzise statistische Daten, die speziell auf die Opfer und die Täter und Täterinnen dieser Formen von Gewalt abzielen, sind sowohl für die Sensibilisierung der politischen Entscheidungsträger und der Öffentlichkeit für die Schwere dieses Problems als auch für die Ermutigung der Opfer und der Zeuginnen und Zeugen zur Meldung dieser Vorfälle von großer Bedeutung.“ 

In diesem Sinne appellieren wir auch im Namen aller Betroffenen an die Politik, dieser gesetzlichen Verpflichtung nachzukommen und damit die nicht berechtigten und nicht nachweislich belegten Zweifel von Polizei und Justiz an der Glaubwürdigkeit der Opfer endlich aus der Welt zu schaffen.

Fußnoten

1 Studie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ Erich Elsner, Wiebke Steffen. München 2005

2 RTL2 „Im Namen des Volkes – Die verhängnisvolle Sex-Nacht“ vom 09.04.2020, 20.15 Uhr, Minute 16:13–16:21

3 Studie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ Erich Elsner, Wiebke Steffen. München 2005. Kapitel 5: Sachbearbeiterbefragung zu den von der Staatsanwaltschaft nach § 170 II StPO eingestellten Verfahren, S.157 ff

4 Studie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ Erich Elsner, Wiebke Steffen. München 2005. Kapitel 5.4: Schätzungen der Sachbearbeiter zum prozentualen Anteil des Vortäuschens einer Straftattat und der falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen gemäß § 177 StGB, S. 160 ff

5 s. vorherige Quelle

6 Studie „Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in Bayern“ Erich Elsner, Wiebke Steffen. München 2005. Kapitel 7: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse und kriminologische Wertung, S. 269

7 „Males Are More Likely To Suffer Sexual Assault Than To Be Falsely Accused Of It“ erschienen am 12.08.2014 online bei Huffpost