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Konsenskultur

Konsenskultur

Entwicklung einer Konsenskultur: „Nur JA heißt JA“

Wir setzen uns für eine Gesetzesergänzung des aktuellen Sexualstrafrechts um den Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“ zur Entwicklung und Förderung einer Konsenskultur in Deutschland ein. Wir wollen außerdem ein Bewusstsein in unserer Gesellschaft im Hinblick auf die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer Konsenskultur schaffen.

Der Kontext

Sexualisierte und körperliche Gewalt an Frauen ist nach wie vor ein großes Problem in Deutschland. Jeden dritten Tag findet ein Femizid statt; fast jede siebte Frau in Deutschland wird vergewaltigt oder sexuell genötigt. Dies zeigt eine vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) herausgegebene repräsentative Untersuchung aus dem Jahre 2004. Seitdem sind jedoch keine neuen Zahlen erhoben worden, wie auf der Seite des Deutschen Bundestages zu der Debatte um den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Gewalt an Frauen und Mädchen systematisch bekämpfen – Grundlagen zur erfolgreichen Umsetzung der Istanbul-Konvention schaffen“ (19/14380) zu lesen ist. „Zudem fehle es aufgrund mangelnder Daten an einer Gesamtübersicht zu geschlechtsspezifischer Gewalt, die alle Formen von Gewalt an Frauen und Mädchen untersucht, kritisiert die Fraktion. Mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention sei Deutschland aber verpflichtet, diese Daten zu erheben.“ (Quelle) Die von Deutschland ratifizierte Istanbul Konvention ist am 1. Februar 2018 als Bundesrecht in Kraft getreten. Die Istanbul Konvention verpflichtet Deutschland, umfassende Maßnahmen zur Verhütung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu treffen.

Auch das BKA kommt in einem im November 2019 veröffentlichten Bericht (Partnerschaftsgewalt – Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2018) zu dem Schluss, „dass das Phänomen partnerschaftlicher Gewalt in Deutschland in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat, [wie] die diesbezüglich in den Straftatenbereichen Mord und Totschlag, Körperverletzungen, sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Bedrohung, Stalking und Nötigung, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution zwischen 2014 und 2018 insgesamt um 11,5% angestiegene Anzahl erfasster Opfer (2014: 126.230 Personen; 2015: 127.457 Personen; 2016: 133.080 Personen; 2017:138.893 Personen; 2018: 140.755 Personen) vermuten [lässt].“ (Quelle)

Die aktuelle Gesetzeslage

Das aktuelle Sexualstrafrecht, das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung, trat am 10. November 2016 in Kraft. Seitdem gilt der Grundsatz „Nein heißt Nein“. Teil dieses Gesetzes ist §177 Absatz 2, der lautet:

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

Das Problem mit dem aktualisierten Sexualstrafrecht ist, dass ein Konsensgrundsatz – ein klares „Nur Ja heißt Ja“ – darin nicht verankert ist. Auch wenn unter Punkt 2 der Zusatz „sei denn, er [der Täter] hat sich der Zustimmung dieser Person versichert“ steht, so ist es doch äußerst fraglich, wie eine Person, die „auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist“, denn überhaupt in der Lage sein soll, ihre Zustimmung zu geben. Dies erscheint sehr widersprüchlich zu sein. Zwar sind Menschen, die aufgrund von K.-o.-Tropfen, tonischer Immobilität (Schockstarre) etc. kein klares Nein äußern können, durch diesen Absatz berücksichtigt, aber ein klarer Konsensgedanke, dass jeder nicht einvernehmliche Geschlechtsverkehr eine Vergewaltigung ist, fehlt schlichtweg.

Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch Amnesty International in ihrem im November 2018 veröffentlichen Bericht „Right to be free from rape – Overview of legislation and state of play in Europe and international human rights standards – Amnesty International – Index No: EUR 01/9452/2018“: „Die geänderte Gesetzgebung konzentriert sich jedoch nicht auf das nicht vorhandene Einverständnis als solches, sondern auf den Ausdruck der Weigerung des Opfers, sich an dem sexuellen Akt zu beteiligen. Das Modell „Nein heißt Nein“ ist problematisch, da es in jeder Situation, in der es keine ausdrückliche Weigerung gibt, sich an einem sexuellen Akt zu beteiligen, das Vorliegen eines Einverständnisses impliziert, im Gegensatz zu einer Auslegung des Einverständnisses als aktive Teilnahme und/oder bejahende Äußerung.“ (Originalzitat: „The amended legislation, however, does not focus on the absence of consent as such but on the victim’s expression of their refusal to engage in the sexual act. The “no means no” model is problematic as it implies the existence of consent by default, in every situation where there is no express refusal to engage in a sexual act, as opposed to interpreting consent as active participation and/or affirmative expression.”)

Gesetzesergänzung

Seit Juli 2018 gilt in Schweden ein neues Sexualstrafrecht, das sogenannte „Einverständnisgesetz“, auf Schwedisch „Samtyckeslag“. Nach diesem neuen Gesetz kann es nicht mehr als Zustimmung gedeutet werden, wenn sich der Partner passiv verhält. Das Prinzip lautet »Nur Ja heißt Ja« – das bedeutet, dass der Partner auf verbale oder nonverbale Weise sein Einverständnis zum Ausdruck bringen muss.

Birthe Berghöfer zitiert in ihrem Artikel „»Nur Ja heißt Ja« – wie in Schweden eine neue Konsenskultur entsteht“ die Vorsitzende der Organisation Fatta, Olivia Björklund Dahlgren: „Statt ausschließlich ein gewisses Verhalten zu kriminalisieren, zielt das Gesetz darauf ab, eine neue Norm in der Gesellschaft zu etablieren“. Weiter schreibt Berghöfer, dass es auch dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven um einen grundsätzlichen Wandel gehe. Die Notwendigkeit des Einverständnisses sende »eine klare und normative Botschaft und kann auf diese Weise die Werte der Menschen beeinflussen«, heißt es im Gesetzesentwurf der Regierung. Das Einverständnisgesetz sei damit wegweisend im Umgang mit sexualisierter Gewalt. In vielen Ländern entspräche das Sexualstrafgesetz auch heute noch nicht einmal den Standards der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. So handele es sich juristisch oft nur dann um eine Vergewaltigung, wenn Nötigung, Gewalt oder Gewaltandrohung im Spiel war oder das Opfer der Situation wegen Trunkenheit oder körperlicher Einschränkungen besonders ausgeliefert war, so Berghöfer. (Quelle)

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage der Verantwortung. Bei der derzeitigen Gesetzeslage liegt die Verantwortung alleine beim Opfer: es muss nachweisen können, dass es sich entweder gewehrt hat, deutlich Nein gesagt hat oder zu beidem aufgrund des körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt war. Der Richter Klaus Haller, der andere Richter*innen und Staatsanwält*innen in Sachen Opferschutz schult, sieht gerade bei Sexualdelikten große Wissenslücken bei seinen Kolleg*innen (Quelle: Sendung „Vergewaltigt – Wir zeigen an“ WDR, ARD Mai 2018). Um dem unzulänglichen Opferschutz bei Sexualdelikten entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass die Verantwortung nicht beim Opfer, sondern bei den Täter*innen liegt. Es obliegt dann nämlich deren Verantwortung, sich der Zustimmung und des Einverständnisses des Opfers zu versichern.

Unser Ziel ist es, dass Deutschland dem Vorbild Schwedens folgt und unser derzeitiges Sexualstrafrecht um den Konsensgrundsatz „Nur Ja heißt Ja“ erweitert. Auch Spanien brachte Anfang März 2020 einen Entwurf für ein sogenanntes „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz ein und auch Norwegen setzt sich derzeit zumindest mit einer möglichen Reform ihres Sexualstrafrechts auseinander. Außerdem hat die Regierung in Griechenland im Juni 2019 beschlossen, ihr Strafgesetzbuch diesbezüglich zu ändern. Die besten Nachrichten kamen Anfang September 2020 aus Dänemark: Dort tritt ab Januar 2021 das neue verschärfte Sexualstrafrecht mit dem Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“ in Kraft. (Quelle)
Auch Deutschland kann in Europa mit gutem Beispiel vorangehen, die Rechte der Opfer von sexualisierter Gewalt stärken und dazu beitragen, eine Konsenskultur in unserem Land zu entwickeln und fördern.