Stand der Dinge im Juni 2021

Wir sind kein Opfer!

Im Juni mit Aissatou Friedrich

CW: Häusliche/sexualisierte Gewalt

Liebe Leser*innen! Ich bin Aissatou Friedrich, 46 Jahre jung, Mutter von zwei Söhnen und bald stolze Großmutter. Ich lebe in Berlin und bin Interkulturelle Beraterin und Integrationsbeauftragte. Geboren wurde ich in Dakar, Senegal, als Kind einer Senegalesin, mein Vater ist Deutscher. Solange ich denken kann, lebte ich mit Gewalterfahrung – über 40 Jahre lang.

Als Kleinkind von meiner Mutter gezüchtigt und erniedrigt und in den Sommerferien für Kinder aus sozial schwachen Familien neun Jahre lang von dem Gastvater in Holland sexuell missbraucht. Später wurde ich vom Vater meines ersten Kindes vor allem in der Schwangerschaft grün und blau geschlagen und vom Vater meines zweiten Sohnes psychisch misshandelt.

Vor elf Jahren habe ich die letzte gewaltgeladene Beziehung beendet und habe bis vor kurzem ohne Partner gelebt, meine Kinder großgezogen und mich überhaupt erst einmal mit meiner Bildung beschäftigt. Ich habe mich intensiv mit meinen Krankheiten, die aufgrund der Gewalterfahrungen entstanden sind, und mit Täter-Opfer-Verhalten auseinandergesetzt. Ich bin Bordelinerin und hab eine Bipolare Störung.

Seit ich an dem Buchprojekt unSICHTBAR – Wir zeigen Gesicht mitgewirkt habe und somit mit meinen Erlebnissen aus der Finsternis ins Licht, also in die Sichtbarkeit, gegangen bin, geht es nur noch bergauf. Meine Erlebnisse – das ist mir wichtig, zu betonen – fallen unter die Dunkelziffer. Ich hatte nie Gelegenheit, meine Peiniger anzuzeigen, und somit wird es für mich nie so etwas wie Gerechtigkeit geben.

Aber… ich bin heute so stark, dass ich mit meinen Erlebnissen an die Öffentlichkeit gehen kann – allen kulturellen, religiösen und familiären Widerständen und Tabus zum Trotz! Auf meinem Weg seit dem Erscheinen des Buches am 25.11.2020 habe ich so viele tolle Frauen kennengelernt, die mich immer noch weiter tragen, als ich mir je vorstellen konnte.

Wenn auch du von Gewalt betroffen bist oder warst, hoffe ich, dass meine Zeilen den Funken in dir entfachen können, den du brauchtest, um dich auch zu befreien und mit uns gemeinsam – denn wir sind so viele  – für eine bessere Zukunft für Mädchen und Frauen aufzustehen… aber in erster Linie für dich selbst! Das wünsche ich dir!