Stand der Dinge im Mai 2021

Der Aufreger des Monats

#rastertherapie

Jens Spahn hat diesen Monat mit seinem Vorschlag zu einer Rasterpsychotherapie deutschlandweit eine große Welle der Empörung ausgelöst. Absolut zurecht, wie wir finden! Gerade für Betroffene von sexualisierter Gewalt können Therapien sehr hilfreich sein, ihr Trauma zu bewältigen, im Alltag wieder zurechtzukommen und Stabilität zu finden.

Doch nicht nur Opfer von sexualisierter Gewalt benötigen ein Angebot an therapeutischer Hilfe. Es gibt unzählige Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, zum Beispiel an Depressionen leiden oder eine Suchterkrankung haben, – derzeit laut DGPPN1 etwa 18 Millionen Erwachsene in unserem Land – oder Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden. All diese Personen haben ein Recht auf professionelle Hilfe. Es ist bestürzend und traurig, dass diese Art von Erkrankungen und ein Bedarf an Unterstützung immer noch mit Stigmata und Tabus einhergeht.

Und anstatt das dringend benötigte Therapieangebot, das durch die Pandemie noch deutlich gestiegen ist, jetzt weiter auszubauen und immer mehr Menschen den Zugang dazu zu erleichtern, sollen Psychotherapien in Deutschland künftig nach einem Rastersystem, also einem festen Schema, funktionieren. Je nach Krankheitsbild soll ein vorgegebenes Raster über Beginn, Dauer, Art und Aufwand der Therapie bestimmen. Dazu sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer: „Ob, wie intensiv und wie lange eine Behandlung erforderlich ist, müssten Psychotherapeuten nach sorgfältiger Diagnostik und unter Berücksichtigung des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlauf gemeinsam mit dem Patienten festlegen.“

Mit Unterstützung der Deutschen Depressionsliga e.V. hat Uwe Hauck eine Petition gegen Spahns Rasterpsychotherapie gestartet, die bereits über 185.000 Menschen unterschrieben haben. Es ist wichtig, uns für die psychische Gesundheit von uns allen stark zu machen und allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, die eine Therapie benötigen. Die Tabuisierung und Stigmatisierung muss ein Ende haben! Auch Schauspielerin Nora Tschirner, die selbst öffentlich über ihre Depression spricht, setzt sich mit dem Hashtag #gesichtgegenrastertherapie gegen das Vorhaben des Gesundheitsministeriums ein.

Aktuell muss man im Schnitt ein halbes Jahr auf einen ambulanten Therapieplatz warten. Für traumatisierte Betroffene von sexualisierter Gewalt sieht es noch düsterer aus: Auf der Seite der München Kliniken ist zu lesen, dass aufgrund der großen Nachfrage nach Therapie-Plätzen zur Behandlung von Traumafolgestörungen die Wartezeit etwa neun bis 15 Monate beträgt. So, lieber Herr Spahn, kann es nicht weitergehen! Wir brauchen Lösungen, die den Betroffenen wirklich helfen und die unzumutbaren Wartezeiten verkürzen. Dafür sollten Sie sich als Gesundheitsminister einsetzen!

1 Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde