Stand der Dinge im Januar 2023

Der Aufreger des Monats

#MedienFail

Seit Jahren gibt die mediale Berichterstattung über sexualisierte Gewalt Anlass zu berechtigter Kritik und weckt nicht selten große Wut bei denjenigen, die diese Kritik immer wieder äußern, und sich dennoch nichts ändert. Nicht nur wird die Gewalt nicht beim Namen genannt und ein Femizid1 gerne mal als „Beziehungsdrama“ oder „Ehetragödie“ bezeichnet, die Kritik bezieht sich vor allem darauf, dass die strukturelle Gewalt gegen Frauen in der gängigen Berichterstattung unsichtbar gemacht wird.

Anlass für unseren Artikel ist ein Fall aus England: Dort wurde in den vergangenen zwei Wochen Anklage gegen den MET-Polizisten David Carrick erhoben, der über Jahrzehnte systematisch unter Ausnutzung seiner Machtposition als bewaffneter Polizist schlimmste Formen der sexualisierten Gewalt gegen mehrere Frauen ausgeübt hatte, wie der britische Nachrichtendienst BBC berichtet. Doch ebenso wie in Großbritannien zielt auch in Deutschland die Berichterstattung häufig darauf ab, die Tatsache, dass die Gewalt System hat und es sich nicht um einige wenige Einzeltäter handelt, zu verschleiern, indem die überwiegend männlichen Täter als „Monster“, „verhaltensauffällig“ oder „psychisch krank“ bezeichnet werden.

Den meisten von uns fällt dies nicht mal als ungewöhnlich auf, denn wir sind an diese Bezeichnungen und diese Art der Berichterstattung im Kontext von sexualisierter Gewalt gewohnt und genau das ist auch das Gefährliche daran: Diese Darstellungen lassen den Eindruck entstehen, dass der nette verheiratete Arbeitskollege, Vater von drei Kindern, der lustige Onkel, der auf der Familienfeier immer alle mit seinen witzigen Anekdoten zum Lachen bringt, oder der tierliebe Nachbar, der sich liebevoll um seinen Hundewelpen kümmert, ja gar keine Täter sein können, denn sie sind ja keine verhaltensgestörten psychopatischen Monster. Die Realität, nämlich dass jede dritte Frau in unserem Land von körperlicher und/oder sexualisierter Gewalt betroffen ist und diese Gewalt überwiegend von Männern ausgeübt wird, wird dadurch verleugnet. Auch wenn dieses Eingeständnis unangenehm ist, aber das bedeutet, dass wir alle nicht nur zahlreiche Betroffene kennen, sondern dass wir zwangsläufig auch zahlreiche Täter kennen und wir diese in unserem eigenen Umfeld, im Freund*innenkreis, der Familie, dem Sportverein, in der Nachbarschaft oder im Supermarkt treffen.

Aber zurück zu England: Mittlerweile wurde veröffentlicht, dass gegen mehr als 1.000 Polizisten der MET (Metropolitan Police Service) Vorwürfe der sexualisierten Gewalt vorlagen. Was jedoch wieder einmal in der Berichterstattung unter den Tisch gefallen ist, ist die Einordnung dieser Gewalt als systematisch! Sie geht über Dienststellen, Berufsgruppen und Länder hinaus, denn Abwertung von Frauen und Mädchen und die Gewalt gegen sie kennt im Patriarchat keine Grenzen. Die Benennung und Anerkennung dieser Tatsache ist der erste Schritt für nachhaltige Prävention von Gewalt gegen Frauen. Besondere Verantwortung fällt damit auf Medienschaffende und ihre Berichterstattung und es wäre wirklich wünschenswert, wenn diese Verantwortung endlich ernst genommen wird!


1 Femizid = die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts