Stand der Dinge im Mai 2021

Auf ein Wort mit Alice Westphal

#gesundheitskosten

TW: Häusliche/sexualisierte Gewalt

Sexualisierte und häusliche Gewalt macht krank! Jede 3. Frau in Deutschland hat mindestens einmal in ihrem Leben sexualisierte und/oder häusliche Gewalt erlebt. Das sind 12 Millionen Frauen! Auch ich bin eine 3. Frau. Ich habe viele Jahre Missbrauch, fünf Jahre häusliche Gewalt erfahren und einen Überfall mit Vergewaltigung in einem öffentlichen Park überlebt.

Im Außen wirkte mein Leben „normal“, wie so häufig bei komplex traumatisierten Frauen. Ich machte Karriere, wurde u. a. zur ersten weiblichen Personalratsvorsitzenden einer Berliner Uniklinik gewählt. Im Inneren sah es ganz anders aus. Mein Weg war mit häufigen Suizidgedanken, Depressionen, Angstzuständen, Alkoholmissbrauch, Hörstürzen, Essstörungen, Bandscheibenvorfällen, Erschöpfungszuständen gepflastert. Meine innere Wahrnehmung hatte sich komplett verschoben. Meine Krankheiten habe ich nicht als Krankheit wahrgenommen, trotz meiner damals chronischen, sehr schmerzhaften Nasenneben- und Kieferhöhlenentzündung, dem Pfeiffer’schen Drüsenfieber, der Lungenentzündung und immer wieder auftretenden Nierenbecken- und Blasenentzündungen. Es gab Zeiten, da fühlte ich mich nicht, ich war erstarrt, Schmerzen waren mir fremd. Mein innerer Kriegszustand war meine damalige Überlebensdevise.

Gewalt macht krank! Die gesundheitlichen Folgen häuslicher und sexualisierter Gewalt hat u. a. Rona Torenz, ehemalige Referentin in der Fachstelle Traumanetz Berlin zusammengefasst. Ihr Fazit: Die gesundheitlichen Folgen häuslicher und sexualisierter Gewalt finden bei der Unterstützung der Betroffenen immer noch keine ausreichende Beachtung. Diese können schwerwiegend und lebenslang sein und noch lange nach der akuten Gewalterfahrung auftreten. Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der betroffenen Frauen sind dabei oft die am stärksten und am längsten anhaltenden. Je schneller die Gewalt beendet wird und je mehr positive äußere Schutzfaktoren hinzutreten, umso besser können die gesundheitlichen Folgen gemildert werden und die Betroffenen den Weg in ein selbstbestimmtes Leben (zurück-)finden. Dabei setzt eine Intervention, die die Gesundheit der Frauen verbessern will, ein grundlegendes Verständnis der gesundheitlichen Folgen häuslicher und sexualisierter Gewalt voraus.

Es gibt zu den gesundheitlichen Folgen auch nur eine erste deutschlandweite Studie von Frau Prof. Dr. Sylvia Sacco vom Institut für Soziale Arbeit der BTU Cottbus-Senftenberg, in der erstmalig die Kosten häuslicher Gewalt erhoben wurden. Grundlage war die Unterzeichnung der Istanbul-Konvention im Jahr 2011 und deren Ratifizierung am 7. Juni 2017, mit der sich die Bundesregierung zu umfangreichen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt verpflichtete. Die Studie, die möglichst umfassend direkte und indirekte Kosten zusammenstellt hat, kommt hier auf Gesamtkosten von mindestens 3,8 Milliarden Euro pro Jahr. Es geht nicht nur um die Folgekosten, sondern um das Aufzeigen von Datenlücken und Handlungsoptionen. In der Studie gibt es konkrete Empfehlungen für die jeweiligen Kostenbereiche. Insgesamt könnte durch die Initiative einer gewaltverurteilenden Gesellschaftsdebatte die Sensibilisierung für die Folgen von häuslicher Gewalt vorangetrieben werden. Die Kostenperspektive zeige außerdem, dass jeder Euro zur Umsetzung der Istanbul-Konvention eine Investition ist und somit Gewalt bekämpft, Leid vermeiden hilft und immense Kosten des Staates eingespart werden können.

Aus diesem Grund engagiere ich mich im Verein S.I.G.N.A.L. e.V. als Vorstandsmitglied und Trainerin. Der Verein setzt sich seit 20 Jahren dafür ein, dass betroffene Frauen von häuslicher und sexualisierter Gewalt und ihre Kinder eine an ihren Bedürfnissen orientierte, fachgerechte Gesundheitsversorgung erhalten.