Stand der Dinge im August 2021

Wir sind Kein Opfer!

Im August mit Natalia Zollitsch

CW: Sexualisierte Gewalt

Liebe Leser*innen! Ich bin Natalia Zollitsch, 29 Jahre alt und lebe in München. Ich arbeite dort in einer Werbeagentur als Kundenberaterin und habe gemeinsam mit meinen wundervollen Kollegen und dem Frauennotruf München die SPEAKUP-Kampagne ins Leben gerufen. Sie trägt dazu bei, das wahre Ausmaß sexualisierter Gewalt in Deutschland sichtbar zu machen.

Dass ich selbst eine Überlebende bin, habe ich allen Beteiligten erst nach einigen Monaten Arbeit an diesem Projekt preisgegeben. Und kurz danach gleich der ganzen Öffentlichkeit. Jetzt kann ich gar nicht mehr laut genug sein.

Im Alter von 14 missbrauchte mich der Stiefvater einer Freundin sexuell. Als ich 21 war, hat mich ein Bekannter eines Freundes vergewaltigt. Er fiel über mich her, als ich schlief. Beide Taten hatte ich verdrängt – das hat sich einfach nicht wie ich angefühlt. Ich wollte kein Opfer sein und ich wollte nichts damit zu tun haben, habe so getan, als wäre es nie passiert und nie darüber gesprochen. Mit 24 hatte ich ein Burnout und habe eine Therapie begonnen, in der wir dann u. a. auf diese Erlebnisse gestoßen sind. Und ich konnte endlich in mir aufräumen. Dass ich nicht schuld bin, sondern nur die Täter, habe ich erst im Laufe der Jahre verstanden. Und dabei ist es doch so klar. Hätte mich jemand beklaut, würde ich mir doch auch nicht die Frage stellen, ob nicht vielleicht doch ich schuld daran bin.

Das Erlebte wieder ans Tageslicht zu holen war anstrengend und es der Öffentlichkeit und vor allem meiner Familie zu erzählen, hat mich eine Menge Mut gekostet, aber es hat sich angefühlt wie ein Befreiungsschlag, für den ich zu meinem Glück nur jede Menge Bewunderung und Dankbarkeit erfahren durfte.

Mittlerweile fällt es mir leicht über meine Erlebnisse und über sexualisierte Gewalt im Allgemeinen zu sprechen. Ich tue es sogar gerne. Nicht weil es so ein schönes Thema ist, aber indem ich darüber spreche und ein Bewusstsein dafür schaffe, kann ich eine Veränderung in unserer Gesellschaft mitgestalten. Und die braucht es so dringend. Wir müssen weg von den vielen Übergriffen, Sexismus, Victim-Blaming und gesellschaftlichen Strukturen, die das alles begünstigen. Wir brauchen Gleichberechtigung, Solidarität für Betroffene und eine Konsenskultur. Ich gebe nicht auf – und du?