Stand der Dinge im August 2021

Der Aufreger des Monats

#11MinutenZuViel

CW: Sexualisierte Gewalt

Unser Aufreger des Monats hat schon Ende Juli stattgefunden, aber vor allem im August für Proteste gesorgt. Am 30. Juli 2021 verkündete das Baseler Appellationsgericht die Kürzung der Haftstrafe eines Vergewaltigers von über vier Jahren auf drei Jahre und setzte zudem einen Teil der Haftstrafe auf Bewährung aus, was bedeutet, dass der Täter bereits nach 18 Monaten das Gefängnis verlassen kann.

Gerichtspräsidentin Liselotte Henz begründete die Strafminderung damit, dass der Übergriff nur eine kurze Dauer von 11 Minuten gehabt habe, dass es keine gravierenden physischen Verletzungen des Opfers gegeben habe und dass das Opfer zudem „mit dem Feuer gespielt habe“. Die Betroffene sei in der Tatnacht mutmaßlich mit einem anderen Mann intim geworden und habe mit diesem Verhalten „Signale“ an die beiden Täter ausgesendet, welche sie beobachtet hatten. Die beiden Männer begleiteten daraufhin die Betroffene nach Hause und vergewaltigten sie dort im Eingangsbereich ihres Wohnhauses. Die Begründung dieses Urteils macht uns so wütend! Sie suggeriert nämlich, dass die Betroffene mitverantwortlich für die Vergewaltigung sei. Und es funktioniert! Die Betroffene fühlte sich tatsächlich mitverantwortlich: „Ich habe mich nach dem Urteil gefragt, ob ich jetzt wirklich mitschuldig an der Vergewaltigung bin.“ Das ist so falsch!

Das Verhalten, das Aussehen oder die Kleidung einer Person ist niemals eine Einladung dafür, dieser Person sexualisierte Gewalt anzutun und kann diese auch niemals entschuldigen. Stattdessen liegt die Verantwortung und Schuld immer alleine bei den Täter*innen.

In ihrem Urteil bezieht sich Richterin Liselotte Henz auf eine moralisierende Begründung, anstelle von strafrechtlich relevanten Argumenten und verhält sich damit nicht nur hochgradig unprofessionell, sie betreibt Victim-Blaming wie es im Buche steht.

Außerdem ist es absolut verwerflich, die Dauer der Tat als Grund zur Strafminderung anzuführen. Egal wie lange eine Vergewaltigung dauert, ist diese eine traumatische Erfahrung und kann schwerwiegende physische und psychische Schäden zur Folge haben.

Das Urteil ermutigt nicht nur Täter*innen Berufung einzulegen und unterstützt jene Täter*innen die vorgeben, die Ablehnung des Opfers nicht wahrgenommen zu haben, sondern es hat außerdem weitreichende Folgen für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Denn es trägt dazu bei, dass sich viele Betroffene auch weiterhin dagegen entscheiden, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten. Und es vermittelt Betroffenen auch weiterhin das Gefühl, vielleicht mitverantwortlich an der sexualisierten Gewalt zu sein, die sie erlebt haben. Obwohl im Gegenteil immer wieder entschieden deutlich gemacht werden sollte, dass dies niemals der Fall ist. Menschen die sexuell selbstbestimmt leben und für die eigenen Grenzen einstehen, sollten nicht durch ein solches Urteil erniedrigt und als mitschuldig erklärt werden!

Bildquelle: Frauen*streik Kollektiv / feministisches Streikkollektiv Zürich (Instagram)