Im September mit Isabelle Irschei
CW: Sexualisierte Gewalt/K.-o.-Tropfen
Jeder Mensch hat mindestens ein Geheimnis, welches dir das Herz brechen würde. Meins war es, Opfer von sexualisierter Gewalt zu sein. Ich heiße Isabelle Irschei, bin 29 Jahre alt, Kindheitspädagogin und mein Schweigen über dieses Geheimnis zu brechen, ist die sowohl anstrengendste als auch befreiendste Aufgabe meines Lebens.
Im Sommer 2020 kam alles wieder hoch – meine lang verdrängten Erinnerungen und Geheimnisse. Mit 15 Jahren wurde ich von meinem damaligen Freund vergewaltigt. Mit ca. 20 Jahren wurde ich unter Einfluss von K.-o.-Tropfen zum zweiten Mal Opfer. Psychischer Missbrauch, Manipulation und Angst haben dafür gesorgt, dass mein eigenes Empfinden verzerrt wurde und das Erlebte letztendlich lange Zeit verdrängt wurde. Was in der Schule und Familie als Faulheit, Schwänzen und Ausreden bezeichnet wurde, waren jahrelange Anzeichen von PTBS1 und starken Panikattacken.
Was für mich im letzten Jahr den Anstoß dazu gegeben hat, mein Schweigen zu brechen, waren die vielen betroffenen Personen und Geschichten, die ich unter der #OnlyYesMeansYes-Kampagne von #metoo-Germany gefunden habe. Zu sehen, dass Taten vor allem im nahen Umfeld und nicht durch Fremdtäter*innen stattfinden und welche Mythen rund um sexualisierte Gewalt kursieren, hat mir endlich die Worte und Erkenntnis darüber gegeben, was mir passiert ist. Nicht zuallerletzt war es auch wichtig für mich, zu sehen, dass ich nicht alleine bin! Und nachdem ich meine eigene Geschichte endlich veröffentlicht habe, war für mich schnell klar, dass ich nicht mehr leise sein werde.
Mittlerweile habe ich mich umfassend im Bereich der Traumapädagogik und der Präventionsarbeit im Umgang mit sexualisierter Gewalt weitergebildet und die Leitung von #metoo-Germany und der Kampagne #OnlyYesMeansYes übernommen. Unserem kleinen Team ist es wichtig, weiterhin auf das Ausmaß sexualisierter Gewalt aufmerksam zu machen, Betroffenen eine Stimme zu geben und zu signalisieren, dass wir Vergewaltigungsmythen den Kampf ansagen!
Die Erfahrungen, die ich im Allgemeinem mit dem gesellschaftlichen Umgang mit der Thematik machen musste, haben mir deutlich gezeigt, wie sehr diese Mythen und fehlende Aufklärung über Konsens und Sexualität unsere Gesellschaft prägen. Hier besteht ein riesiger Bedarf der Aufklärung und Enttabuisierung, weshalb ich mich stark für eine verpflichtende Einbindung der Thematik innerhalb von Bildungseinrichtungen einsetze.
Öffentlich über diese Missstände zu sprechen und aktivistisch tätig zu sein, hat mir dabei geholfen, meine Erlebnisse einordnen zu können und mich selber wieder als handlungsfähig wahrzunehmen.
Es war und ist kein einfacher Weg, aber es hat sich mehr als gelohnt für meine und die Grenzen anderer zu kämpfen. Und vielleicht ist das hier dein Anstoß mitzugehen – du bist definitiv niemals allein auf diesem Weg!
1 PTBS: Posttraumatische Belastungsstörung