Im April 2022 mit Hannah B.
CW: Sexualisierte Gewalt
Hallo ihr lieben, engagierten Menschen!
Ich bin Hannah, 30 Jahre alt, Journalistin, mit einem großartigen Mann verheiratet und Mutter zweier Töchter im Alter von drei und vier Jahren. Und Betroffene von sexualisierter Gewalt.
Ein Mitschüler vergewaltigte mich, als ich 15 Jahre alt war. Wir gingen in dieselbe Klasse und waren eher oberflächlich befreundet. Während sich unsere Freunde und die Schulleitung schwertaten, auf eine Weise zu reagieren, die dieser Situation angemessen wäre, reagierte meine Familie schnell und gut. Nachdem ich ihnen wenige Wochen nach der Tat davon erzählte, nahmen sie mich zunächst einige Wochen ganz aus der Schule, zeigten den Jungen an und organisierten dann zügig einen Schulwechsel.
Meine Eltern stellten für mich den Kontakt zu einer Beratungsstelle her und diese vermittelte uns wiederum eine erfahrene Anwältin, die mich durch den gesamten Strafprozess sehr einfühlsam und kompetent begleitete. Sie schirmte mich während der Verhandlung so gut es ging vom Angeklagten ab und wies gemeinsam mit der Richterin den Staatsanwalt zurecht, als dieser mir eine Mitschuld an der Tat geben wollte. Mit den Beamt*innen bei der Polizei machte ich ebenfalls gute Erfahrungen. Ich wurde sehr behutsam befragt und durfte so viele Pausen machen, wie ich wollte. Auch die Ärztinnen und Psycholog*innen waren sensibel und vor allem kompetent. Ein ganzes Jahr nach der Tat wurde der Täter schließlich verurteilt.
Es war nicht einfach, mit der posttraumatischen Belastungsstörung durch die Schule zu kommen. Die meisten Lehrer*innen sind für das Thema sexualisierte Gewalt nicht ausreichend sensibilisiert. Ich erinnere mich gut an die Situation, in der wir im Deutschunterricht für mich völlig unvermittelt über die Vergewaltigung einer Protagonistin aus einem Buch, das wir gerade lasen, sprachen. Eine Triggerwarnung wäre für mich dringend nötig gewesen. Es war nicht die erste und auch nicht letzte Situation, in der ich mich auf die Mädchentoilette flüchtete, weil es in der Schule keinen sicheren Ort für mich gab. Leider folgten mir die Lehrer*innen oft auch dorthin, um mir zu sagen, dass ich ihren Unterricht nicht einfach verlassen dürfe…
Auf der anderen Seite waren da aber auch viele Menschen, die mir Mut machten. Vor allem meine Mutter machte mir Hoffnung auf ein Leben ohne Trauma. Mir half diese Perspektive über die Jahre immer weiter zu heilen. Deshalb habe ich zusammen mit drei meiner Kolleginnen den Instagram-Kanal „jede7te“ initiiert. Wir wollen das Netzwerk aus Unterstützer*innen, Expert*innen und Anlaufstellen weiter ausbauen und Betroffene und Überlebende von sexualisierter Gewalt miteinander und mit den Hilfsangeboten zusammenbringen. Wir wollen, dass Betroffene sehen und erleben, dass es Perspektiven und Möglichkeiten für sie gibt und sie nicht allein sind – dass es ein Netzwerk gegen sexualisierte Gewalt gibt.