Stand der Dinge im August 2022

Der Aufreger des Monats

#KeepDancing

Bereits während des Wahlkampfs in Deutschland letztes Jahr konnte man schön beobachten, wie unterschiedlich sich die Berichterstattung über Annalena Baerbock im Gegensatz zu ihren männlichen Mitstreitern gestaltete. Während bei ihr permanent ihr Aussehen oder ihr Verhalten im Mittelpunkt standen, lag der Fokus der Berichterstattung über die männlichen Kollegen auf ihrer Arbeit und ihrem politischen Handeln. Und während bei Annalena Baerbock kleinste Fehltritte zu riesigen Skandalen aufgeblasen wurden, konnten die Männer sich getrost darauf verlassen, dass selbst bei durchaus großen Fehlern ein Auge zugedrückt wird.

Ähnliches war diesen Monat in der internationalen Politik zu beobachten. Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin hatte – wie Millionen andere 36-Jährige in Europa – auf einer privaten Party mit Freund*innen ausgelassen getanzt und Spaß gehabt. An einem Wochenende. In ihrer Freizeit. Eigentlich ist es schon verwunderlich genug, dass so etwas Normales überhaupt zu einem Skandal werden kann. Aber richtig absurd ist, dass laut t-online drei Anzeigen bei der finnischen Polizei deshalb eingingen (die selbstverständlich nicht ermittelt, da es nichts zu ermitteln gibt) und Sanna Marin sich genötigt sah, einen Drogentest zu machen.

Viele Frauen solidarisierten sich mit ihr, darunter auch Hillary Clinton, die ein Foto aus ihrer Amtszeit bei Twitter postete, auf dem auch sie ausgelassen tanzt, und twitterte: „Tanz weiter, Sanna Marin!“. Mehrere Politiker*innen hatten Sanna Marin verteidigt, etwa die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock.

Wenn man das dann mal beispielsweise mit einem Winston Churchill vergleicht, der an jedem einzelnen Tag bereits zum Frühstück nicht besonders geringe Mengen an Alkohol gesoffen haben soll, dann wirkt die Geschichte von Sanna Marin dagegen ja eigentlich kaum erwähnenswert. Man könnte auch über ihre politische Arbeit berichten, beispielsweise über den historischen NATO-Beitritt Finnlands aufgrund des Kriegs in der Ukraine. Ähnlich bewertet das auch Jonas Mueller-Töwe in seinem Artikel „Es gibt einen Skandal – aber nicht um Marins Partyfotos“, in dem er schreibt: „Männern wird so etwas leicht verziehen. Es gilt womöglich noch als besonders markanter Charakterzug. Für eine Frau in vergleichbarer Position ist in der öffentlichen Anschauung wohl schon ein kleiner Tanz ein wenig viel. Sexismus ihr gegenüber überschattet das politische Wirken der finnischen Ministerpräsidentin derzeit fast völlig. Über ihre Partys wird geredet und geschrieben. Private Videos werden veröffentlicht. Eine absurde Situation, da sie Historisches vollbringt, während der deutsche Bundeskanzler – ein Mann – im Angesicht des Schreckens verzagt und versagt.“

Das lassen wir mal so stehen.