Stand der Dinge im Februar 2022

Auf ein Wort mit Jana Minuth

#Femizide

Femizide sind keine Beziehungstaten – Deutschland hat ein massives Problem mit Femiziden. Ulla von „Der Hase im Pfeffer“ hat sie in einer Recherche für das Jahr 2021 aus der lokalen Presse selbst zusammengetragen und zählt 133 tote, als weiblich erfasste Menschen in nur einem Jahr. Ein Femizid ist laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) eine „von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts.“ Spannend ist, dass diese Definition vor allem cis Männern Unbehagen zu bereiten scheint. In den Kommentarspalten zu aktuellen Femiziden findet sich immer ein Archetyp, der argumentiert, es sei unklar, ob das Geschlecht überhaupt ausschlaggebend gewesen sei.

Nennen wir ihn Kommentardude. Er fühlt sich unwohl mit dem Begriff Femizid, weil er dann anerkennen müsste, dass es ein strukturelles Problem gibt, eine Struktur, in der Frauen und Mädchen insgesamt in Gefahr sind. In allen Bereichen und eben auch in diesem schlimmsten Eskalationsfall. Wer nicht zugeben will, dass es ein Patriarchat gibt, der kann logischerweise auch nicht einräumen, dass für von Sexismus betroffene Menschen eine besondere Gefährdungslage besteht, und darum bleibt Kommentardude lieber bei der bequemen Version des individuellen Grundes.

Und dieses schädliche Framing, das den Mythos des Einzelfalles aufrecht erhält, findet sich auch in den Medien häufig. Vor einigen Monaten habe ich mich sehr über den Satz „Was letztlich der Auslöser für die Eskalation der Gewalt war, sei ungeklärt“ in diesem Beitrag geärgert. Darin geht es um einen Femizid in Essen aus dem Oktober 2021. Das Narrativ des Grundes suggeriert, dass Betroffene eine Mitschuld trügen, und wiegt uns in der Sicherheit „da gab’s einen Auslöser, das kann ja kein allgemeines Problem sein.“ Es ist aber schon seit Jahren bekannt, was der Auslöser von häuslicher Gewalt ist – in der absolut überwältigenden Mehrheit sind das Männer. Kein individueller Grund, kein Streit, keine Meinungsverschiedenheit löst das aus, sondern eine Struktur, in der Gewalt gegen weiblich gelesene Personen toleriert wird. Gegen den mutmaßlichen Täter von Essen wurde 2018 sogar wegen häuslicher Gewalt gegenüber der jetzt getöteten Partnerin ermittelt, das ist buchstäblich eines der Kriterien, die EIGE in der Definition von Femiziden nennt.

Von „Beziehungstaten“ oder „Familiendramen“ zu sprechen, sorgt schlussendlich nur dafür, dass Frauen und Mädchen eine Form der Mitschuld an ihrer eigenen Ermordung zugesprochen wird und dass wir die Erfassung und Bekämpfung eines strukturellen Problems verhindern. Das mag bequemer sein, führt aber auf lange Sicht unzweifelhaft zu weiteren vermeidbaren Toten.

Anmerk. von KO e.V.: Jana recherchiert zu vielen feministischen Themen und veröffentlicht ihre Rechercheergebnisse unter dem Namen Fierce and flourishing über ihren Instagram– und YouTube-Kanal. Lasst ihr dort gerne ein Like oder Follow da…